Mittwoch, 5. Oktober 2011

Steven Wilson – Grace For Drowning

 


Steven Wilson – Grace For Drowning


Besetzung:

Steven Wilson – vocals, guitars, keyboards, autoharp, bass guitars, gong, piano, harmonium, percussion
Jordan Rudess – piano
Theo Travis – soprano sax, flute, clarinet
Ben Castle – clarinet
Tony Levin – bass guitar
Nick Beggs – stick, bass guitar
Nic France – drums
Pat Mastelotto – acoustic and electric drums
Markus Reuter – guitar
Trey Gunn – guitar, bass guitar
London Session Orchestra – strings
Steve Hackett – guitars
Synergy Vocals – choir
Dave Stewart – string and choir arrangement
Mike Ovtram – guitar
Sand Snowman – acoustic guitar
Dave Kerzner – sound design


Label: Kscope


Erscheinungsdatum: September 2011


Stil: Independant, Alternativ, Postrock, Prog


Trackliste:

CD1 - Deform To Form A Star

1. Grace For Drowning (2:05)
2. Sectarian (7:41)
3. Deform To Form A Star (7:50)
4. No Part Of Me (5:44)
5. Postcard (4:27)
6. Raider Prelude (2:23)
7. Remainder The Black Dog (9:27)


CD2 - Like Dust I Have Cleared From My Eye

1. Belle De Jour (2:59)
2. Index (4:48)
3. Track One (4:15)
4. Raider II (23:21)
5. Like Dust I Have Cleared From My Eye (8:01)

Gesamtspieldauer: 1:23:01



"Grace For Drowning“ bezeichnet Steven Wilson als sein bisher „größtes Projekt“. Und weiter schreibt er auf seiner Homepage:

„Das Album „Insurgentes“ war ein wichtiger Schritt für mich, hin zu etwas Neuem. Diese Platte nimmt dies als Ausgangspunkt, aber sie ist experimenteller und vielseitiger. Für mich war die goldene Periode der Musik die späten Sechziger und frühen Siebziger, als das Album die wichtigste, künstlerische Ausdrucksmöglichkeit wurde, als sich die Musiker vom 3-Minuten-Popsong-Format befreiten und begannen Jazz und klassische Musik einfließen zu lassen, um diese mit dem psychedelischen Spirit zu kombinieren und eine Soundreise zu kreieren.
Ohne Retro zu sein, ist mein Album eine Art Hommage an diesen Geist. Es gibt alles, von Ennio Morricone mäßiger Filmmusik über Chöre, Piano Balladen, bis hin zu einem 23 minütigen, vom progressiven Jazz inspiriertem Stück. Tatsächlich habe ich dieses Mal mit ein paar Jazz Musikern zusammengearbeitet, die Idee dazu stammt von meiner Arbeit an den Remixen der King Crimson Alben.“

Nun, bei solchen Aussagen steigt der Puls eines Prog-Fans ganz automatisch. Die Frage ist nun, ob diese Ankündigung auch der Veröffentlichung standhält.

CD1 wird eröffnet mit dem Titelstück „Grace For Drowning“. Der Track ist eine ganz ruhige und mit 2:06 Minuten Länge auch sehr kurze Nummer. Instrumentiert wird der Song durch Jordan Rudess am Piano und hauchzart mit Wilsons Keyboardspiel. Ansonsten bleibt zu erwähnen, dass Steven Wilson für den Lalala- und Leileilei-Gesangspart vierzig Gesangsspuren übereinander gelegt hat und so eine Art Chorgesang kreierte. Nicht schlecht, aber auch nichts Besonderes.

Die zweite Nummer, „Sectarian“, ist nun deutlich „lauter“, abwechslungsreicher und mit knapp siebeneinhalb Minuten auch sehr viel länger als der erste Track. Und bei diesem Stück kommen wir auch sogleich in den Prog-Bereich, der zum Teil jazzig angehaucht ist. Schräge Riffs und Keyboardläufe sind da zu hören, genauso wie bombastische Abschnitte und ein Mittelteil, der fast schon an eine Jazzimprovisation erinnert. Das Instrumentalstück fängt langsam mit der Akustikgitarre an, um dann immer mehr an Fahrt aufzunehmen. Und immer wieder gibt es überraschende Tempo- und Rhythmuswechsel. Mich erinnert dieses Lied in Ansätzen an King Crimson Veröffentlichungen Mitte der 70er Jahre - ohne diese zu kopieren.

„Deform To Form A Star“ heißt die dritte Nummer auf CD1. Dieses Lied ist wieder deutlich ruhiger als sein Vorgänger und sehr melodiös. Das Lied klingt wie ein Porcupine Tree Song, der von seiner Stimmung und Machart her auch gut auf „Lightbulb Sun“ gepasst hätte. Ein richtig schönes Stück Musik.

Elektronisch wird es dann zunächst bei „No Part Of Me“. Das Grundthema wird laufend wiederholt und nur die Begleitung variiert ein wenig, bis Steven Wilson dann bei 1:40 mit dem Gesang einsetzt. Schließlich wird das Stück sogar richtig orchestral, wenn die Streicher sich zur Instrumentierung dazugesellen. Aber noch eine weitere Steigerung wartet auf den Zuhörer. Bei 3:20 wird es schließlich richtig rockig. Klasse hier auch das Saxophon, welches den Sound und die Stimmung perfekt abrundet.

Mit „Postcard“ beweist Steven Wilson dann einmal mehr, dass er einfach ein Gespür für wunderschöne Melodien hat, die er im Laufe eines Liedes sich auch noch weiterentwickeln lässt. Ein ganz tolles, melancholisches Stück ist diese Nummer, die mit Streichern und Chor perfekt instrumentiert wurde. Ein Lied zum Tagträumen.

Es folgt „Raider Prelude“, ein kurzer und sehr düsterer und ruhiger Track, der hauptsächlich von seiner Chororchestrierung lebt und damit Stimmung schafft. Aufgeteilt nach Männern und Frauen, werden hier die „Ooohs“ tieftraurig und schwebend in die Welt hinausgehaucht. Mich erinnert diese Nummer immer wieder ein klein wenig an "Warszawa" von David Bowie.

Das letzte Stück auf CD1 - „Remainder The Black Dog“ - konnte man sich bereits seit längerem auf diversen Videoportalen und auch auf der Homepage Steven Wilsons anhören beziehungsweise ansehen. Diese Nummer geht schon alleine durch den etwas schrägen Pianolauf sofort ins Ohr und wirkt zunächst erneut ziemlich düster bis dunkel. Der Keyboardlauf nach etwa einem Drittel des Tracks erinnert wieder an die frühen 70er Jahre. Und wenn dann das Saxophon einsetzt, ist die Erinnerung an King Crimson erneut gar nicht mehr so abwegig. „Remainder The Black Dog“ lebt von seiner Abwechslung, denn in dem Stück hört man Heavy Metal Gitarren neben leisen Pianoabschnitten, neben wiederum sphärisch schwebenden Passagen – und alles passt klasse zusammen.

CD2 wird durch „Belle De Jour“ eröffnet. Und wenn Steven Wilson im Interview von Filmmusik à la Ennio Morricone spricht, dann hat er bei dieser Aussage bestimmt diesen Song im Kopf gehabt. Und wirklich, bei diesem Stück kann man sich wahrlich eine traurige oder sentimentale Szene in einem Western vorstellen, die durch diese Musik unterstrichen und noch intensiver wird.

Es folgt „Index“. Ein Stück, welches zunächst sehr leise beginnt - so flüstert Steven Wilson fast schon seinen Gesangspart. Eine wunderbare Spannung wird in diesem Stück aufgebaut, die schließlich in einen orchestralen Part mit Streichern mündet. Klasse hier die Hintergrundgeräusche, die an das Knarren der Takelage eines Segelschiffes erinnern. Auch der Gesang selbst trägt in diesem Stück zur Abwechslung bei, da man ihn zum Teil klar und rein, jedoch auch verzerrt hören kann.

„Track One“ konnte man sich ebenfalls bereits seit einiger Zeit samt Video im Internet anhören beziehungsweise ansehen. Ganz zart und zerbrechlich kommt dieses Stück zunächst daher, von der Stimmung am ehesten mit den beiden Porcupine Tree Songs „Heartattack In A Layby“ Und „How Is Your Life Today?“ zu vergleichen. Aber schon kurze Zeit, nachdem man in dieses melancholische Klanggebilde eingetaucht ist, folgt ein ganz und gar verstörender Teil, der einen aus jedem Tagtraum herausreißt. Schließlich klingt das Lied in einem Duett aus akustischer und elektrischer Gitarre langsam aus. Ein richtig guter Song.

Und dann kommt es, „Raider II“, das mit 23 Minuten und 21 Sekunden mit Abstand längste Stück auf dieser Doppel-CD. Es beginnt ganz langsam und ruhig mit Klarinette und Piano, die beide mehr einzelne Töne, als eine zusammenhängende Melodie spielen. Schließlich setzt Wilsons zerbrechlich wirkender Gesang ein und unterstreicht die irgendwie sentimentale Stimmung. Bei 2:50 explodiert der Song dann aber mit schweren Gitarren, Schlagzeug und Chorgesang. Es folgt ein Part mit einem schrägen Querflötensolo, der dann wieder von einem leiseren Teil abgelöst wird. Das ganze Stück wirkt hier sehr verspielt, fast schon improvisiert bis es schließlich wieder in einen sehr melodiösen Teil übergeht. Die Nummer lebt im weiteren Verlauf von den Gegensätzen „laut und leise“, „schräg und melodiös“ und wird dabei nie langweilig. Zur Mitte wird das Stück dann sphärisch und schwebend und entwickelt sich schließlich, bis zum fast schon bombastischen Finale weiter, ehe es leise und erneut sphärisch ausklingt.

“Like Dust I Have Cleared From My Eye” heißt schließlich das letzte Stück auf dem Album. Ein ruhiges Lied, mit einer tragenden Gesangsmelodie, welches zur Mitte hin fast schon bluesig wird. Nach etwas über vier Minuten ist dann allerdings Schluss und das Stück wird über die nächsten vier Minuten sphärisch ausgeblendet. Wenn es auf dieser CD ein Stück gibt, was nicht so recht zünden und begeistern kann, dann am ehesten dieses hier.

Fazit: Ein sehr, sehr abwechslungsreiches Album hat Herr Wilson hier vorgelegt, welches mich persönlich sehr viel mehr packt, als der Vorgänger „Insurgentes“. Wunderschöne Melodien und schräge Parts wechseln sich hier ständig ab und bringen immer wieder Abwechslung. Die CD weiß klasse zu unterhalten und es befinden sich, bis auf die letzte Nummer, keine Ausreißer nach unten auf dem Album. Für mich ein ganz klarer Kauftipp.

Anspieltipps: Deform To Form A Star, No Part Of Me, Postcard, Remainder The Black Dog, Track One, Raider II